Seit der Gründung von MADE IN FREEDOM sind wir immer wieder begeistert davon, dass wir mit mehr und mehr Menschen in Kontakt kommen, die sich für mehr Fairness und eine nachhaltige Lebensweise einsetzen. Neben lokalen Unternehmern, KünstlerInnen, SchülerInnen und SchulleiterInnen, die uns u.a. durch Bestellungen sowie kreativen Austausch und Input weitergebracht haben, haben wir auch von der engagierten Fotografin Anna Voelske wertvolle Unterstützung bekommen. Ihr verdanken wir den Großteil der schönen Fotos, die in unserem Online-Shop zu sehen sind.
2019 hat sie mit Stefanie Schmidt die Model-Agentur Fairmodel gegründet, die ausschließlich mit fair handelnden und ökologisch verantwortungsvollen Unternehmen zusammenarbeitet. Wie sie dazu kam und was sie bewegt, erfahrt Ihr im folgenden Interview.
MIF: Vielen Dank, Anna, dass Du uns durch Deine großartigen Fotos der MADE IN FREEDOM-Shirts dabei unterstützt, Arbeitsplätze für Frauen in Kolkata/Indien zu sichern, denen dadurch ein Ausweg aus Zwangsprostitution ermöglicht wird.
Hier in Deutschland denken wir beim Thema Freiheit ja meist erstmal in einer ganz anderen Dimension. Uns würde deswegen natürlich besonders interessieren: Was bedeutet Freiheit für Dich persönlich?
ANNA VOESLKE: Puh das ist natürlich gleich eine sehr komplexe Frage und ich wollte ja heute Abend eigentlich keinen Roman schreiben 😉 Mein Kunstlehrer hat es uns damals so erklärt:
Gibt es nur eine Möglichkeit, ist es Tyrannei, gibt’s zwei, haben wir schon ein Dilemma, und drei ist der Beginn der Freiheit.
Ich denke, das trifft es ganz gut: für mich persönlich bedeutet es also, zwischen mehr als zwei Möglichkeiten zu wählen in ganz vielen Bereichen meines Lebens:
Wo möchte ich leben? Was möchte ich beruflich machen? Was ziehe ich morgens an? Wie lebe ich Sexualität (also z.B. Homo- oder Heterobeziehungen)? Wohin verreise ich? Was möchte ich wie wem gegenüber äußern? Oder ganz banal: Welche Art der Kinderbetreuung wähle ich für meine Tochter aus.
Im Vergleich zu den Frauen in Kolkata/Indien sind wir natürlich sehr privilegiert und leben in einem sehr freien Land. Das ist ja immer eine Frage des Maßstabs. In Deutschland (oder eben in den westlichen Ländern) wird die Freiheit aber durch das Zahlungs- und Motivationsmittel Geld zumindest limitiert. Das geht schon damit los: Was sage ich beim Bewerbungsgespräch? Würde eine heterosexuelle Person zum Beispiel eher davon erzählen, dass sie verheiratet ist als eine homosexuelle? Würde eine Frau Ende 20 erzählen, dass sie eigentlich bald Kinder haben möchte und demnächst in Elternzeit und danach nur noch Teilzeit arbeiten möchte? Sagt ein Angestellter seinem Chef/seiner Chefin, dass er die moralischen Grundwerte der Firma oder einzelne Entscheidungen völlig daneben findet? Lehnt man als Freelancer ein Projekt ab, das man völlig unkreativ und überflüssig findet? etc. etc. Ich glaube es ist schon klar, worauf das hinauslaufen soll: JA, wenn man es sich leisten kann, authentisch zu sein, bzw. wenn man es sich leisten kann diese theoretische Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, sexuelle Selbstbestimmung, Lebensplanungsfreiheit auch konsequent durchzuziehen. Also, wenn man auf den Job nicht angewiesen ist, es egal ist, was das Gegenüber von einem denkt, weil es keinerlei Abhängigkeit gibt oder eben die Freiheit, sein Kind so betreuen zu lassen, wie man es möchte, wenn man sich davor auf das Spiel eingelassen hat und die monetären Mittel erwirtschaftet hat, dass man sich diese Entscheidungsfreiheit erkaufen kann..
Also kurz: Im Prinzip ist Freiheit für mich zwischen vielen Möglichkeiten auszuwählen, allerdings sind wir durch Abhängigkeiten in unseren Entscheidungen wieder limitiert und so ist die Frage nach dem freien Willen zumindest mal aufgeworfen.
MIF: Wie kamst Du auf die Idee, Fairmodel zu gründen? Gab es irgendwann ein Schlüsselerlebnis? Was motiviert Dich?
ANNA VOESLKE: Mein Partner und ich arbeiten als Modefotografen viel mit nachhaltigen Firmen zusammen — das Ziel wäre für mich, die Freiheit zu haben nur noch in dieser Branche zu arbeiten, aber da sind wir wieder bei den Geldabhängigkeiten. Auffallend war, dass die Produktionskette meistens sehr akribisch kontrolliert wird, während die Auswahl der Models immer noch sehr oberflächlich abläuft und dann auch oft von Seiten der Kunden bemängelt wurde, dass die Gesichter kurz danach für Firmen zu sehen waren, die gar nicht mit der Nachhaltigkeits- und Fairnessphilosophie kongruent sind. Und genau für dieses Problem haben wir die Lösung mit unseren Models, die selbst einen nachhaltigen, bewussten Lifestyle verfolgen und gar nicht für “die anderen” modeln wollen bzw. mit ihnen in Verbindung gebracht werden wollen.
Ganz konkret motivieren mich die zahlreichen Bewerbungen von Models, die wir ständig erhalten, und es wären noch viel mehr, wenn dieses Bewusstsein auch auf Seiten der Kunden ankommen würde. Ein Fairmodel bietet ja ein ungemeines Storytelling-Potential, also genau das, wonach immer alle suchen: authentischer Content.
MIF: Mittlerweile würden sich ja schon sehr viele Menschen und Unternehmen als „ökologisch und fair“ handelnd bezeichnen. Gerade die Mode-Branche und der Model-Beruf sind ja oft mit großen Vorurteilen wie Oberflächlichkeit bzw „mehr Schein als Sein“ behaftet. Gibt es Deiner Erfahrung nach in den letzten Jahren in der Branche eine spürbare Veränderung und/oder eine selbstkritische Haltung?
ANNA VOESLKE: Zum Einen denke ich, dass “öko”, schon lange salonfähig geworden ist. Da muss ich an den Slogan von tegut denken: „Wir waren schon Bio, da hieß es noch Öko.“ Insgesamt warte ich aber noch darauf, dass die selbstkritische Haltung den Durchbruch erfährt. Wobei wir wieder bei dem Geldthema wären: Mit FastFashion (und nicht nur Fashion, sondern auch z.B. der wie ich finde völlig retardierten Automobilbranche oder klassischen Tourismusbusiness, angefangen bei Billigfliegern) lässt sich ganz offensichtlich schneller und einfacher Geld verdienen. Und da für die meisten Menschen Gier durchaus eher ein Motivator ist als z.B. Weltrettung, sehe ich da noch einen langen Weg vor uns.
Gleichzeitig lebe ich aber auch in einer “Bioblase”, in der es völlig normal ist, Klamotten zu tauschen, Biolebensmittel einzukaufen, alternative Energiequellen zu nutzen, Dinge zu reparieren statt sie gleich wegzuschmeißen, keine Urlaubsflüge anzutreten, lokal zu konsumieren, kurz: sich einem ressourcenschonenden Lifestyle zumindest anzunähern.
Persönlich bin ich aber ein großer Verfechter des so genannten Nudgings, also des sanften Anstupsens des Menschen, sich für “das Richtige” zu entscheiden. Beispiel: „Wird an einem Kantinenbuffet Obst erhöht in Griffnähe präsentiert, Donuts und Plundergebäck dagegen weiter entfernt, greifen die Nutzer öfter zum Obst. Auch ein Spiegel hinter dem Buffet lässt sie zu Obst statt Donuts greifen, wie ein Experiment des US-Senders ABC zeigt.“ (Quelle Wikipedia: Nudges)
Würden also Biolebensmittel deutlich subventioniert werden, wäre ein Stück Fleisch so teuer wie einen SUV volltanken, wäre H&M, Primark plötzlich deutlich teurer als Hess Natur oder die Labels des AvocadoStores, wäre Ökostrom der Default bei den Stadtwerken, gäbe es eine bessere Infrastruktur für Fahrräder, wäre das Taxi zum Flughafen nicht mehr teurer als das Flugticket, wäre der ÖPNV kostenlos, …
… würde man “unfaire” Arbeitsbedingungen nicht nur in Deutschland, sondern global reglementieren, statt zu tolerieren etc. etc., dann müsste man nicht mehr auf die Revolution von unten bzw. von ein paar wenigen warten.
Kurz: Es ist schwierig, das Gute zu tun, außer das Gute ist das Einfachste und Naheliegendste.
MIF: Welche Aspekte sind Dir bei der Auswahl der Models besonders wichtig?
ANNA VOESLKE: Das Auswahlverfahren besteht neben den klassischen Elementen wie Beispielfotos und Maßen auch in einem Motivationsschreiben für die Entscheidung ein Fairmodel zu werden; immerhin verpflichten sich die Models dazu, ausschließlich für nachhaltige Firmen zu arbeiten und entscheiden sich dadurch auch dafür, eventuell lukrativere Jobs abzulehnen. Wichtig ist mir außerdem, jedes Model persönlich bei uns im Studio in Butzbach für ein Sedcard-Shooting einzuladen und dabei näher kennenzulernen. Bis jetzt waren das immer tolle Menschen mit einer spannenden Geschichte, die man auf Youtube nachhören kann.
MIF: Wie wurdest Du auf MADE IN FREEDOM aufmerksam und was hat Dich dazu bewegt, uns mit so großem Einsatz zu unterstützen?
ANNA VOESLKE: Ich bin öfter im G5 [in Eimeldingen/Dreiländereck bei Basel; Anmerkung der Redaktion], das ist immer unser Zwischenstopp, wenn es aus irgendwelchen Gründen in den Süden geht. Dabei hab ich Armin kennengelernt, der mir das Projekt Made in Freedom vorgestellt hat, von dem ich sofort total überzeugt und begeistert war: Wenn Nachhaltigkeit auch noch auf einen sozialen Aspekt und in diesem Fall sogar eine Art Befreiung trifft, kann man das nur unterstützen. Natürlich passt das auch total zu der Philosophie von Fairmodels und alle Models sind auch immer gleich begeistert dabei, wenn sie von dem Konzept hören und freuen sich über die T-Shirts.
MIF: Was würdest Du noch gerne loswerden?
ANNA VOESLKE: Generell ist mein Eindruck, dass ökologische Mode immer noch weit weg von „modisch“ ist und damit das Bedürfnis, das viele in Klamotten sehen, nämlich sich selbst zu erfinden und darzustellen, nicht wirklich befriedigen. Ich freue mich aber, wenn sich das hoffentlich irgendwann ändert.
Und direkt zu MADE IN FREEDOM: Wann werdet ihr auch Tops, Taschen, Kleider, Accessoires haben?? Die neuen Männer T-Shirts finde ich schon super!
Vielen Dank für die Fragen und die Möglichkeit darauf zu antworten.
MIF: Vielen Dank Dir, Anna, für Deine sehr zum Nachdenken anregenden Antworten und für Deine Unterstützung von MADE IN FREEDOM!